Erinnerungen 1890-1900
Ursula Synold von Schüz
Herausgeber Helwig ReidlEichendorffweg 6
58642 Iserlohn
H.Reidl@T-Online.de
Vorwort
Meine Großmutter Ursula hat mich in meiner Jugend mit erzogen. Ich wohnte mit meinen Eltern mit ihr in unserem Haus. Meine Mutter musste arbeiten gehen, so war ich Ende der 50er und Anfang der 60er Jahren viel bei meiner Großmutter (Sie starb 1967). In dieser Zeit muß sie für mich und meine Mutter ihre Kindheit beschrieben haben. Der Anfang fehlt leider. Ich denke, sie erzählte, dass ihr Vater Offizier gewesen war, der damals einen eigenen Burschen hatte, der ihn bedienen mußte.
H.R.
Koblenz
Die Offiziersburschen durften im Haus mit ihrem Herrn wohnen und wurden dort verpflegt. Meistens war jeder Bursche gerade von seinem Herrn begeistert und nahm dessen Interessen war. Auch wir Kinder liebten es, mit diesem Burschen zu spielen und mal sein Kommissbrot beißen zu können.
Mein Vater war groß und blond und lustig und voller Interesse, sehr beliebt bei Alt und Jung. Er hielt sich mehrere Pferde - eigentlich der einzige Sport, den es damals gab. Reiten und Kutschieren, außer der Jagd. Er war auch sehr musikalisch und sang schön und gern.
Es war bei uns zu Hause oft Besuch da, auch von den vielen Verwandten. Er hatte fünf Geschwister, meine Mutter hatte sechs Schwestern. Sie waren beide die Jüngsten davon. Daher gab es auch schon viele Vettern und Kusinen von uns, die zu Besuch kamen. Meine Eltern liebten lustige Geselligkeit und da mein Vater von seinen Eltern wohl reichlich Zulage bekam, konnten sie sich das gut leisten. Denn sonst war das Gehalt eines Oberleutnants recht bescheiden. Er war aber auch Brigadeadjudant, etwas das immer die fähigsten und gewandtesten Offiziere wurden. Alle mussten danach die rechte Hand des Regimentskommandeurs sein. Ich weiß aber nicht, ob es dazu eine Gehaltserhöhung gab oder ob nicht die Ehre allein der Lohn war.
Meine Mutter war die jüngste der sieben schönen Breithaupts aus Hannover, alles Mädels. Klein, zierlich, lebhaft, unternehmend, immer wieder oben auf war der Moment noch so erschütternd. Bis in ihr Alter war jeder von ihr entzückt, ob Mann ob Frau. Sie hieß Adele, wurde "Puschen" genannt. Sie war auch sehr geschickt und flink. Ich war die mittelste der Kinder, damals in Koblenz. Geboren waren wir noch alle drei in Hannover. Wir zwei Ältesten in der Gneisenaustraße, Richard geboren 1888, ich 1890, und Barbara 1892 in der Baedeckerstraße.
Von Hannover habe ich nur schleierhafte Erinnerung, an die Großmutter und dass ich im Kinderwagen zum zoologischen Garten gefahren wurde. An die Großeltern in Wolfenbüttel erinnere ich nur ein so großes Zimmer!
Zu unserem Haushalt in Koblenz gehörte noch die Köchin und die Kinderfrau. Die Wohnung war groß in der I. oder II. Etage. Jedenfalls gab es eine Treppe. Ich erinnere mich dreier Schlafzimmer mit roten Sonnengardienen, daneben der Elternschlafzimmer, auch das Burschenzimmer lag nach der hinteren Seite. Dort sollten wir eigentlich nicht hineingehen. Es gab einen langen Flur. Dort auf dem Fensterbrett stand der wunderschöne Christengel. Aber wir durften nicht dableiben, bis er hinausflog!
Von den Vorderzimmern sehe ich noch das Esszimmer vor mir. Nebenan war das Wohnzimmer mit einem "Twist", eine erhöhte Fußbodenstufe mit meiner Mutter Nähtisch am Fenster und davor ein Balkon. An dem großen Tisch in der Sofaecke spielten wir oft mit unserem Vater Würfelspiele und ähnliches. Neben diesem Zimmer war der Salon in hellrötlicher Seide, in dem wir Kinder wohl nur Weihnachten spielten. Dann kam unser Spielzimmer, Bärbchen und ich hatten jeder unsere Spielecke, ich hatte für meine Puppen zu Weihnachten einen geräumigen Schrank bekommen. Außer der Puppengarderobe passte auch mein rosagoldenes Teegeschirr hinein. Auch auf einen mit Veilchen bemalten, zweiwandigen kleinen Wandschirm war ich sehr stolz. Wir Schwestern spielten gern mit unseren Puppenkindern. Bärbchen war meist die Köchin und fragte mich "Nege(r)frau" ("Gnädige Frau") was sie einkaufen solle. Dann fuhren wir hintereinander unentwegt im Kreis herum, ganz in unsere Rollen vertieft. Manchmal musste auch unser Dackel schön warm im Wagen spazieren gefahren werden - er ließ sich das gern gefallen.
Zwei Sachen waren unser Kummer: Mittagessen - wir mochten nie aufessen und dann nicht nach Tisch ins Bett. Einmal haben wir uns ganz leise angezogen und sind aus der Wohnung geschlüpft, erst mit Herzklopfen. Waren wir doch nie allein ausgegangen.
Und dann sehr stolz und unternehmend. Ich sehe uns vor einem kleinen Verkaufsstand stehen und sehnlich wünschen, etwas kaufen zu können- wie die Großen - aber wir hatten ja kein Geld. Sonst war da nur ein grüner Platz mit einem grünen Zaun.
Wir waren kaum um die Ecke, als sie uns heim holten - wir waren drei und vier Jahre alt. Heute wäre das ganz natürlich, dass so kleine Kinder allein auf der Straße sind, aber damals war es für so behütete Kinder ein großes Abenteuer.
Am Rheinufer gab es einen Garten mit einer Pergola voll Weintrauben, dorthin wurden wir fast jeden Nachmittag geführt. Dort kamen oft Kinder zum Spielen. Ihre Eltern wohnten dort ganz nah. Sie waren mit meinen Eltern befreundet. Sie hießen von Hillern. Dort waren lauter Häuser, die in Gärten lagen.
Oft sahen wir auch zu, wenn die Pontonbrücke - aus ineinander geschobenen Holzbooten mit einer Planke daran - geöffnet wurde, wenn Schiffe weiterfahren wollten. Sie führte hinüber nach Ehrenbreitenstein.
Oft auch wurden wir oder einer von uns Kindern im Wagen mitgenommen, zur Fahrt am Rhein oder der Mosel entlang. Mein Vater kutschierte selbst und die Pferde waren jung und feurig. Ich weiß, meine Mutter hatte oft Angst. Aber die Pferde mussten ja immer bewegt werden, die Schimmel "Max und Moritz" und die Braunen "Liese und Lehne". Es war eine sehr fröhliche, sorglose Zeit. Alles schien gesichert und ohne Unterbrechung immer so zu bleiben.
Das Reich stand gefestigt, trotzdem unser Kaiser Friedrich nicht gesund schien, aber sein Sohn war ja auch schon erwachsen und schon Enkel da. Unser geliebtes Kaiserhaus blühte. Die Nachbarländer achteten uns, es war überall Friede.
Die Bürger waren zufrieden, und doch bescheiden und einfach. Keiner wollte Gleichheit für alle. So wie es war, war es von Gott gegeben. Jeder tat die ihm auferlegte oder ererbte Beschäftigung genau und nach bestem Können. Natürlich gab es Faule und Nichtsnutze, die in große Armut gerieten, aber nicht die Sucht, es so zu haben wie die wohlsituierten Bürger oder die Rittergutsbesitzer. Ein jeder Stand hatte sein Standesbewußtsein und wurde auch darin geachtet. "Schuster bleib bei deinem Leisten". Sie waren zufrieden und wollten gar keinen Luxus. Ein jeder Handwerker war stolz auf seiner Hände Arbeit und ein strenger Meister seiner Lehrlinge, die ihm nicht seine Ehre und Anerkennung vermurksen durften. Wie überall verlangte man Ehrerbietung und Höflichkeit von der Jugend, besonders von denen, die im Leben eine Stellung ausfüllten oder ererbten. Wie schön waren die Möbel, die so individuell und sorgsam und zweckmäßig gearbeitet waren. Es wurde damals liebevoll und mit eigenen Gedanken die Arbeit aufgenommen und so solide gearbeitet, dass sie für viele Generationen verwendbar waren.
Es gab in meiner Kinderzeit nur Petroleumlampen und Kerzen, es war solch trauliches Licht - beschien ja nur einen kleinen Kreis - aber gerade das regte die Phantasie an, dieses lebende Flammenlicht. Wie schön war ein Festsaal, nur mit Kerzen beleuchtet! Licht und Schatten spielte in den Augen und den seidenen Kleidern und der schimmernden Festtafel und trug zu der festlichen Stimmung bei und verschönte alles.
Die Familien, die einen gewissen Wohlstand hatten, hielten sich "Personal". Im kleinen die Magd und den Burschen und wie bei uns, die Köchin (das Hausmädchen oder die Zofe), die Kinderfrau und vom Hauptmann an außer der Hausburschen den Stallburschen. Zumeist brachten sie der Herrschaft allen guten Willen und Treue entgegen. Oft blieben sie mehrere Generationen in derselben Familie. Es war alles so verlässlich, es gab so viel ehrliche Leute - so selten Mord und Totschlag. Das junge, endlich wieder erstandene Kaiserreich gab Rückhalt und gute Zuversicht.
Doch ging es auch damals manchmal aus aller Sicherheit in eine ungewisse Tiefstimmung. Eines Tages wurde mein Vater ins Wohnzimmer getragen und auf das Sofa gelegt. Mein sonst so großer, kräftiger lebensvoller Vater lag blass und stöhnend, unsere Mami weinte und viele Leute standen im Zimmer. Es wurde viel geflüstert und immer sahen wir Tränen in den Augen unserer Mutter. Es war ein Herzanfall - ein Herzfehler, der wohl schon durch schweren Gelenkrheumatismus, den er als Schüler hatte, verursacht wurde. Meinem Vater wurde empfohlen in den Süden zu gehen.
Nervi
Er wurde beurlaubt und wir reisten nach Nervi, Riviera. Uns Kindern gefiel das sehr. Allein die vielen flinken grünen Eidechsen, die wir immer auf dem Weg ans Meer neben der Felswand sahen, waren ein schönes Erlebnis. Einmal kam ein deutsches Schiff. An Bord war der todkranke Kaiser Friederich. Er schickte seine Grüße seinem Offizier, unserem Vater einen weißen Rosenstrauß. Die Eltern waren viel mit Deutschen zusammen, Kinskis und Comptesse Bellagarde - fröhlich, wie meine Eltern beide gern waren. Es kam auch Vaters Schwester Anna und sein Bruder Hans.
Onkel Hans hielt am letzten Morgen Vaters Hand, wir wurden früh aus den Betten geholt und Vater segnete uns und sah uns so ernst an und unsere Mutter saß so weinend am Fenster. Wir wurden kaum wieder ins Schlafzimmer gebracht, wo wir drei Kinder zusammen schliefen. Richard fing gleich an mit der Eisenbahn zu spielen. Ich verstand das nicht. Es war doch alles so unheimlich und unser Vater starb doch. Ich sehe dann noch Vaters Bett und er ganz mit einem Türvorhang zugedeckt. Wir durften ihn aber noch einmal sehen. Ich verstand nicht, warum man ihm das Gesicht zudeckte, das musste ihn doch stören - es war wohl wegen der Fliegen, die nicht dahin sollten. Von unserer Abreise erinnere ich nichts.
Wolfenbüttel
Ich weiß uns nur wieder in Deutschland, in Wolfenbüttel, im großelterlichen "kleinen Schloss" neben dem großen Schloss im Park an der Ocker. Dort wurde unsere Schwester Jutta geboren. Das Schloss gehörte damals schon Tante Anna, Mutters Schwester. Im Park auf dem anderen Ufer der Ocker gab es einen Hügel mit einem Gartenhaus, das bunte Glasfenster hatte. Darunter gab es durch den Berg einen Gang, der uns verboten war zu durchkriechen - wegen Baufälligkeit - aber gerade das reizte uns und unsere Vettern, es zu erkunden.
Mit diesen Vettern, Karl-Ludwig und Werner waren wir doppelt verwandt. Ihr Vater war der älteste Bruder unseres Vaters - er hatte die Bank geerbt und das Parkgrundstück über der Ocker. Die Mutter war die Schwester unserer Mutter.
Mit den Vettern war es sehr lustig. Sie waren zwischen uns Älteren im Alter. Sie waren recht verzogen und erlaubten sich alles. Gestraft wurde nur der jüngere Werner. Der Älteste war der Verzug der Mutter. Unsere Mütter vertrugen sich nicht gut.
Die unsere wurde von allen geliebt und Tante Emma war neidisch. Sie ließ sich gern "Marquise" nennen und herrschte gern. Onkel Luis tat uns oft leid - aber recht hatte wohl Tante Emma, die flinkere und gescheitere von beiden. Sie hatte an Stelle unseres geliebten Gartenhauses eine große Villa - wir fanden sie protzig und ungemütlich.
Braunschweig und Blankenburg
Nach Koblenz wollte meine Mutter nicht zurück und sie suchte Wohnung in Braunschweig. Dort wohnte ihre älteste Schwester Helena. Ihr Mann war dort Regimentskommandeur von Brauchitsch. Wir sahen sie wenig. Die ältesten Cousinen waren erwachsen und hatten solch schönes, gepflegtes Zimmer. Man durfte nichts berühren und das verdross uns.
Auch Kusine Carla Wegner wohnte in Braunschweig. Eine sehr schöne, aber kühle Natur. Sie hatte ein schönes Haus zum bewohnen in der Wilhelmsallee. Es waren drei Söhne dort, mit denen wir nur wenig spielten. Carla war die älteste von Tante Lilly, die zweitälteste Schwester meiner Mutter. Ihr Mann war Kreisdirektor (Landrat) in Blankenburg Harz. In Blankenburg lebte auch meine Großmutter mütterlicherseits, Lina Breithaupt, eine liebe alte Dame. Sie trug immer ein Spitzenhäubchen auf dem Scheitel, werktags schwarz mit Veilchen, sonntags und festtags war es aus Goldspitzen, auch mit Veilchen. Sie war noch schön und geschmackvoll gekleidet, aber recht wunderlich geworden. Sie schenkte mir immer etwas. Ich erbte von ihr einen entzückenden eingelegten Nähtisch, halb rokoko - halb empire. Bei ihr bekam ich den ersten Unterricht, es kam eine Lehrerin dazu in ihren Salon. Aber das Lernen gefiel mir gar nicht, ermüdetete mich nur gräßich. Es war so heiß in Blankenburg.
Im Herbst zogen wir dann nach Braunschweig in die Adolfstraße, in eine Villa. Souterrain und Erdgeschoss. Unten waren die Wirtschaftsräume und Zimmer der Köchin und der Amme Alma. Oben war ein großes Esszimmer, meiner Mutter Salon. Ihr Schlafzimmer, unser Kinderzimmer, unser Mädelschlafzimmer - Richard hatte ein kleines Zimmer für sich. Es kam doch noch ein Kinderfräulein, Fräulein Bauch.
Ich sehe uns erwartungsvoll am Fenster stehen und ihre Ankunft erwarten. Wir nahmen uns vor sie zu ärgern, wir wollten kein Fräulein haben! Wir habe es ihr bestimmt nicht leicht gemacht. Sie war auch so höflich und mit ihrer langen Nase. Sie soll gesagt haben, als sie uns sah: "Das sind ja lauter Engelchen mit diesen blonden Löckchen." Sie musste mich zur Schule bringen, aber meist vergaß einer von uns beiden den Schulranzen. Einmal mussten wir, so will es Jutta aus dem Fenster beobachtet haben, meinen Puppenwagen mitnehmen - somit brüllte sie, dass Alma uns beschimpfte.
Ich bekam Klavierstunden und fand es unmöglich 3/4 oder 16/4 Takt zu begreifen, während ich gern mit den Tönen spielte.
Unser nächstes Fräulein war Fräulein Schrader. Sie liebten wir alle. Mit ihr spielte ich gerne Klavierstücke. Richard und Bärbchen brachten sie von ihrer Reise nach Gotha, zu Tante Marie, die Schwester meiner Mutter, die dort verheiratet war. Ihr Mann war Major, dort im Regiment von Beesen. Sehr unglaubwürdig kam mir vor, dass es in Gotha Licht gäbe, ohne Gas und Kerzen und Wagen, die auf Schienen liefen, aber ohne von Pferden gezogen zu werden! Es hieß "elektrisch"! In Braunschweig hatten wir in den Schlafzimmern Petroleumlampen, und eventuell Nachtlichter, in den Wohnzimmern Gasbeleuchtung. Ich sehe das wohlige, fröhliche Licht der kleinen Petroleumlampe, wenn sie Alma mit herunternahm in das große feuchtwarme Badezimmer. Sonnabends bekamen wir im Bad die Haare mit geschlagenem Eigelb gewaschen.
Unser Garten ging hinten bis an die Oker. Der Garten war herrlich zum Spielen. Richard bastelte dort viel zurecht. Mit Carl von Mausfeld setzten sie eine kleine Dampflokomotive in Gang - uns war das immer unheimlich. Carl war Bärbchens erster ernsthafter Verehrer.
Richard baute eine schöne Holzhütte mit Feuerstelle. Der Schornstein war aus Blechbüchsen zusammengesetzt und ging bis oben zur Mauer. Es wurden hauptsächlich Kastanienblätter verbrannt. Das qualmte fürchterlich, besonders in das Neubaugrundstück, worauf dann eine Beschwerde von dort kam. Der Kaffeeklatsch dort war zu stark gestört worden.
Richard war zart, besonders hatte er immer gleich Bronchialkatarrh.
Wir waren immer noch schlechte Esser. Heutzutage findet man unsere damaligen Portionen sicher groß genug. Meine Mutter bekam jede Woche einen Schock Eier (60 Stück) vom Land gebracht. Wenn wir im Garten waren, gingen wir zum Küchenfenster und die Köchin gab uns dann geschlagene Buttereier. Das schmeckte uns herrlich.
Jeden Tag nach dem Mittagessen mussten wir mit "Fräulein" eine Stunde spazieren gehen. Ich hasste es, es machte mich so schlapp. Braunschweig hat so dünne Luft. Erträglich war es nur, wenn wir durch Dinge die Zeit verkürzten. Wir sangen laut und mit vielen Versen alle Lieder, die wir wussten, mit Begeisterung: " Es braust ein Ruf wie Donnerhall (Deutsche Wacht am Rhein)", "Heil dir im Siegerkranz"
(1. Vers: Heil dir im Siegerkranz,
Herrscher des Vaterlands!
Heil, Kaiser, dir!
Fühl in des Thrones Glanz
Die hohe Wonne ganz,
Liebling des Volks zu sein!
Heil Kaiser, dir!)
wobei uns die „Wonnegans“ immer etwas "spanisch" vorkam. Weiter viele Volkslieder und Soldatenlieder.
Unsere Mutter war viel eingeladen. "Bei Hof" - so nannte man den Herzog und seine Umgebung im Schloss - gab es Marzipanplätzchen mit Emblem darauf. Die brachte Mutter uns mit und sie schmeckten beinahe wie etwas aus dem Himmel!
San Remo
Aber all das fröhliche Leben wurde abgelöst durch die Sorge um Richards ewige Husterei. Deshalb reiste meine Mutter wieder mit uns im Winter nach Italien, San Remo. Sehr interessant war die Eisenbahnfahrt durch die Schweiz. Die hohen Berge, die vielen Marterln und Heiligenbilder. Wir versuchten sie zu zählen und die Tunnels, das gab nach all der Sonne Nacht und dann dicken Rauch, so dass man kaum noch etwas sehen konnte. Auch die Tunnels versuchten wir zu zählen.
Der lange Winter in San Remo war herrlich. Schon allein das große Hotel. Allein dort die Warmluftheizung. Sie kam aus runden Gittern, die im Fußboden eingelassen waren. Wir trugen damals plissierte Hängerkleidchen. Wenn man sich nun auf die Löcher stellte, wurden sie wie ein Vorhang aufgebläht. Diese Vorführung machten wir gern, wenn neue Gäste kamen.
Auch hörten wir den italienischen Straßensängern, die oft vor dem Hotel spielen durften, ihre Lieder ab und ließen sie dann geschickt mit den buntseidenen Zipfelmützen, die sie hatten uns damit hören. Das brachte uns viel Schokolade ein. Aber besser noch schmeckte die Mandarinen frisch vom Baum und die Feigen, wenn sie dunkelblau und innen ganz rot waren. Wie viel Narzissen- und Veilchensträuße brachten wir von den Spaziergängen mit! Es war so interessant, in die am Berg liegenden Dörfer zu gehen. Dort gab es immer verlassene halb verfallene Winkel, aber mit Blüten überzogen. Wie stark rochen da die Geranien und Rosen! Herrlich am Strand zu spielen mit den vielen interessanten Steinen und Muscheln.
Dann gab es eine große Weihnachtsschau auf der Bühne im Saal und später den Karneval. Meine Mutter hatte solch blumengeschmückte Droschke gemietet und wir durften in unseren schönsten Kleidern und Spitzenhütchen auf dem offenen Verdeck sitzen und mit Schlangen werfen und empfangen. Und wie bunt geschmückt waren alle Straßen, hauptsächlich alles mit Blumen.
Fräulein Schrader gab uns etwas Schulunterricht und Richard musste für Latein zum deutschen Pfarrer gehen. Doch auch diese sonnige, frohe Zeit ging vorüber und unsere Wirtin, Frau Wülfing, lud uns zum Abschiedskaffee ein. Wir mussten ihr noch einmal vorsingen und bekamen dafür Schokoladengeld in Silber- und Goldpapier. Auch vorguckende Veilchen gab es.
Friedrich Rhoda
Nach Braunschweig gingen wir nicht zurück. Wir fuhren nach Thüringen, Friedrich Rhoda. Dort hatten wir zusammen mit Tante Marie und Tante Frieda, die schon Witwe war, und ihrer Tochter Ellen eine Villa Kade gemietet.
Die Waldspaziergänge gefielen uns. Tante Marie konnte so schon dabei von all den Sagen erzählen, besonders vom "Gottlob" so der Ritter sagte als er die Prinzessin aus dem steilen Berg gerettet hatte "Gottlob"!
Herzlich schmeckte das dort gebackene, dunkle Landbrot und der fette Thüringer Katenschinken.
Gotha
Dann zog meine Mutter nach Gotha, Gartenstraße 19 in ein schönes Haus. Dort mietete sie die I. und II. Etage. Dass Gotha so viele Jahre mein Domizil sein sollte, ahnte man damals noch nicht.
Sehr liebten wir "Onkel Helmuth". Er kam so oft mit seinem leichten Sportwagen und rassigen Pferden und nahm uns mit zum ausfahren. Auch konnte er mir so viel in unserem Rauke Geschichtsbuch so anschaulich erklären.
Aber dann sollte er unser Vater werden und das ging mir gegen das Gefühl. Warum? Wir hatten doch unseren Vater gehabt! Nur Richard sagte gleich „ja“, obwohl meine Mutter sich scheute es gerade uns beizubringen.
Verlobung und Hochzeit war ja dann schön aufregend. Aber warum meine Mutter nicht wenigstens einen von uns auf die Hochzeitsreise mitnahm, konnten wir nicht begreifen. Wir waren "pikiert". Da halfen auch die wunderschönen Mitbringsel aus Paris nichts!
Aber unseren neuen Vater liebten wir trotzdem richtig innig.
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